Pflichtverteidiger
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Was ist ein Pflichtverteidiger ?

Unter bestimmten Voraus­setzungen hat ein Beschuldigter bzw. An­ge­klagter An­spruch auf die Bei­ord­nung eines Pflicht­verteidigers. Man spricht dann von einem Fall der "notwendigen Vertei-digung". Als Pflichtverteidiger bezeichnet man einen im Strafprozeß durch das Gericht beige­ordneten Ver­teidiger. Im Gegensatz zum staatlich bestellten Pflicht­verteidiger steht der Wahl­ver­tei­diger, den der Ange­klagte selbst benennt und damit auswählt. Der Pflicht­ver­tei­diger hat alle Rechte, die auch ein Wahl­ver­teidiger hat. Ein Pflicht­verteidiger ist kein "Notbehelfs-Anwalt" oder etwa ein "Ver­tei­diger 2. Klasse", auch wenn in US-amerikanischen Kriminal­filmen gelegent­lich der gegen­teilige Ein­druck ver­mittelt wird.

Pflichtverteidiger – im Gesetz als "notwendiger Verteidiger" bezeichnet – haben jedoch wegen der Bestellungspraxis der Gerichte nicht den besten Ruf und dies in vielen Fällen sicherlich zu Recht. Dies liegt vor allem auch daran, daß ein Pflichtverteidiger vom Beschuldigten oder Ange-klagten häufig als ein durch das Gericht aufgezwungener Verteidiger erlebt wird und sich schon deshalb Zweifeln an seiner Kompetenz, Loyalität und Interessenlage ausgesetzt sieht.
Häufig werden durch das Gericht auch nur solche Pflichtverteidiger bestellt, die zum Freundes- oder Bekanntenkreis eines Ermittlungsrichters gehören oder die einen Verteidigungsstil ohne Konfliktbereitschaft oder -fähigkeit pflegen und sich hierdurch in Gerichtskreisen bewähren und etablieren. Dem können und sollten Sie vorbeugen und von dem Ihnen eingeräumten Wahlrecht Gebrauch machen, sich Ihren Strafverteidiger selbst auszusuchen. Sollte das Gericht Sie im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens anschreiben oder bspw. mit Übersendung der Anklage-schrift auffordern, einen Pflichtverteidiger bzw. einen Verteidiger Ihres Vertrauens zu benennen, beachten Sie dabei unbedingt die Ihnen dort gesetzte Frist.

Voraussetzungen der Pflichtverteidigung

Ein Pflichtverteidiger wird nur in den Fällen der sog. notwendigen Ver­tei­digung bestellt.
Notwendige Ver­tei­digung bezeichnet dabei eine Verfah­rens­lage, in der der Gesetz­geber davon ausgeht, daß der Ange­klagte sich nicht selbst ver­tei­digen kann. Liegt ein Fall der not­wen­digen Ver­tei­digung vor, so muss ein Pflicht­ver­tei­diger be­stellt werden und zwar unab­hängig davon, ob der Angeklagte bzw. Beschuldigte sich eines Verteidigers bedienen will oder nicht (dann land­läufig als "Zwangs­ver­tei­diger" bezeichnet). Der Pflicht­verteidiger wird von der Staats­kasse be­zahlt. Dessen Gebühren sind Verfahrenskosten, die im Falle einer Ver­urtei­lung vom Ange­klagten zu tragen sind.

In § 140 Absatz I StPO sind die Voraussetzungen der not­wendigen Ver­teidi­gung aufgeführt, u. a. nament­lich:

  • bei Verbrechensvorwürfen, d. h. Straftaten, die mit einer Freiheits­strafe von mindestens einem Jahr bedroht sind;
  • in sog. Haftsachen, d. h. wenn sich der Beschuldigte in Strafhaft oder in einer Anstalts-unterbringung befindet;
  • wenn gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder eine einstweilige Unterbringung nach § 126a bzw. § 275a Abs. V StPO vollstreckt wird;
  • der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz I oder § 129 StPO einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
  • wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor einem Schöffengericht, Land­gericht oder Oberlandesgericht stattfindet;
  • wenn eine Unterbringung zur Erstellung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten in Betracht kommt,
  • wenn die Erteilung eines Berufsverbots droht,
  • wenn ein Sicherungsverfahren durchzuführen ist, weil der Ange­klagte bei Begehung der Tat schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB gewesen sein soll, aber eine isolierte Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt werden muß, weil der Täter aufgrund seines Zustandes für die Allgemeinheit gefährlich ist.
  • wenn dem Verletzten/Nebenkläger ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde.
  • bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
  •  ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

In § 140 Abs. II StPO sind zusätzlich durch eine sog. Generalklausel weitere Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung geregelt. Danach ist u. a. ein Pflicht­ver­tei­diger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Hier ist bspw. als Faust­regel der Fall zu nennen, daß der Ange­klagte mit einer Frei­heits­strafe von etwa einem Jahr und mehr zu rechnen hat oder die Beweislage kompliziert und unübersichtlich ist.
Wenn durch eine erneute Ver­urtei­lung der Widerruf einer laufenden Stra­faus­set­zung zur Be-währung droht, kann dies ebenfalls einen Fall der notwendigen Ver­tei­digung darstellen.

Insbesondere wenn Sie schon einmal zu einer Bewährungsstrafe ver­urteilt wurden und nun an-ge­klagt sind, sollten Sie mit einem Rechtsanwalt über die Frage der Beiord­nung eines Pflicht­ver­tei­digers sprechen.

Ferner kommt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Betracht, wenn für den Beschuldigten eine gesetzliche Betreuung eingerichtet ist und daher die Selbstverteidigungsfähigkeit zweifel-haft erscheint. Auf die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Rechtslage kommt es dabei  regelmäßig nicht an. Dies bedeutet im Umkehrschluß, daß in den Fällen der reinen Bagatell-, Klein- und Alltagskriminalität eine Pflichtverteidigung in der Regel eher nicht in Betracht kommt. Auch die Mittellosigkeit des Angeklagten stellt keinen Beiordnungsgrund dar. Denn entgegen  landläufiger Meinung dient die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht dazu, einem mittel-losen Angeklagten einen Verteidiger zu finanzieren. "Ich kann mir keinen Rechtsanwalt leisten" ist daher kein Grund zur Be­stellung eines Pflicht­ver­tei­digers. Die Inanspruch­nahme staat­licher Prozeß­kosten­hilfe, im Volksmund früher gerne auch als "Armenrecht" be­zeichnet, ist im Rahmen des Straf­ver­fahrens zur Erlan­gung eines straf­ver­tei­digenden Bei­standes gesetz­lich nicht vor­gesehen.

Auswahl des Pflichtverteidigers - ein heikles Thema

Dem Beschuldigten ist Gelegen­heit zu geben, einen Rechtsanwalt seines Ver­trauens zu be­nennen, der als Pflicht­ver­tei­diger bei­geordnet werden soll. Das Gericht bestellt in der Regel sodann diesen von Ihnen benannten Ver­tei­diger, wenn nicht ge­wichtige Gründe ent­gegenstehen. Benennt der Beschuldigte/Angeklagte keinen Pflichtverteidiger, dann hat der Richter diesen aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 BRAO - Bundesrechtsanwalts-ordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwalts-kammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden, § 142 Abs. VI StPO.
Die Auswahl des Pflicht­ver­teidigers ist somit zwar in § 142 StPO geregelt, aber das Gesetz trifft keine Regelungen, nach welchen Kriterien das Gericht konkret den Anwalt auswählt. Diese Vor-gehens­weise ist nicht unpro­blema­tisch und stellt wohl auch einen der Gründe für den in der Volks­meinung häufig anzu­treffenden schlechten Ruf der Pflicht­verteidigung dar.

Einige Richter/innen üben ihr Auswahl­ermessen bei der Pflicht­vertei­diger­bei­ordnung ver­ant­wor­tungs­voll aus, da es ihnen zuvorderst darum geht, im Rahmen eines fairen Ver­fahrens dem Ange­klagten eine kompetente Ver­teidigung zur Seite zu stellen. So manchem Richter kommt es aber mitunter in erster Linie darauf an, das Straf­ver­fahren schnell und vor allem unkompliziert und bequem zu erledigen. Hierbei kann ein Strafvertei­diger als störend empfunden werden, der sich engagiert für die Belange des Mandanten einsetzt oder kritische Fragen stellt - und dadurch "unbequem" wirkt. Deshalb wird ein solcher Richter einen Pflicht­ver­tei­diger auswählen, den er aus früheren Ver­hand­lungen oder persönlicher Bekannt­schaft kennt und von dem er weiß, daß dieser nicht "allzu engagiert verteidigt". Nicht selten entscheidet sich eine Beiord­nung auch weniger nach der Frage, ob der Verteidiger kompetent ist oder ob es sich um einen dem Gericht gefälligen und an­ge­nehmen "verurtei­lungs­be­glei­tenden" Ver­tei­diger han­delt, der lediglich als Beschwichtigungsapostel auf den Ange­klagten ein­wirkt und für einen schnel­len und vor allem alsbald rechts­kräftigen Abschluß eines Strafverfahrens sorgt.

Nicht jeder Rechtsanwalt ist auch Strafverteidiger

Insbesondere unerfahrene Beschuldigte und Angeklagte, die erst­malig mit der Situation einer Pflichtverteidigerbestellung kon­frontiert sind, werden erst (zu) spät einen Ein­blick erhalten, ob ihnen der oder die Richter/in einen qualifizierten Straf­ver­teidiger zum Beistand be­stellt oder einen der notorisch bevor­zugt gerichts­konformen "üblichen Verdächtigen" als Pflicht­ver­teidiger bei­ge­ordnet hat, der mit Blick und Hoff­nung auf künftige Beiord­nungen Sie dement­sprechend in einer Weise ver­tei­digen wird, bei der er mög­licher­weise darauf bedacht sein wird, sich tunlichst durch Kon­flikt­ver­mei­dung die lukrativen Sympathien des Gerichts zu erhalten bzw. zu sichern. Bei solchen Konstel­lationen hat der Ange­klagte zumeist das Nach­sehen, wenn statt einer kon-formen "Geständnis-Romantik" die Aus­brin­gung von Beweis­an­trägen oder die Einlegung von Rechts­mitteln für den Pflichtver­teidi­ger bisweilen einen wirtschaftlichen Inter­essen­kon­flikt dar­stellen könnte (vgl. Burhoff, Richter OLG Hamm a.D., Handbuch für das strafrechtliche Ermitt-lungsverfahren, 7. Auflage, Rn. 2763). Wenn dabei Richter und zutrauliche Pflichtverteidiger nach längerem Poussieren zu "guten Kumpels" avancieren, wird ein solcher Pflichtverteidiger tunlichst alles vermeiden, um seine sichere Konjunktur- und Auftragslage nicht zu gefährden und keinerlei Mißfallen riskieren. Das dabei Ihre Verteidigungsinteressen nachrangig sind, liegt auf der Hand.

Eine Bestellung durch das Gericht lässt sich allerdings leicht dadurch vermeiden, indem der Be-schuldigte selbst einen Pflichtverteidiger auswählt. Nutzen Sie daher dieses Auswahlrecht und lassen Sie sich keine staatlich alimentierte "Verurteilungsbegleiter", Palliativ-Verteidiger oder "Vertragsanwälte" mit "eingebautem Rechtskraftverstärker" beiordnen, die in kritischen Justiz-kreisen nicht selten auch als sog. "Gerichtsnutten"  (vgl. Föhrig, VRiLG a.D., Kleines Strafrichter-Brevier) bezeichnet werden.


Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 hat das Pflichtverteidigungsrecht erhebliche Änderungen erfahren, welche insbesondere den Schutz und die Rechte des Beschuldigten stärken sollten. Danach soll der Be-schuldigte bei Vorliegen der Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 StPO nun auch schon im Ermittlungsverfahren eine unverzügliche Entscheidung über die Beiord-nung eines Pflichtverteidigers herbeiführen können. Diesen Antrag auf Beiordnung eines Pflicht-verteidigers kann der Beschuldigte dabei nicht nur gegenüber der Staatsanwaltschaft sondern auch schon frühzeitig gegenüber der Polizei - vor seiner Vernehmung - anbringen.

Gemäß § 141 StPO wird in Fällen der notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Pflichtvertei-diger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt.

Gemäß § 142 StPO legt die Staatsanwaltschaft einen solchen Antrag mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor.

Obgleich sowohl die gesetzliche Zielsetzung als auch die Regelungsinhalte recht eindeutig und unmißverständlich sind, ist insbesondere die Staatsanwaltschaft erstaunlich häufig und allzu offensichtlich mit der praktischen Handhabung und Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung überfordert, wobei es vielfach an einer Normakzep-tanz hinsichtlich der eindeutig zugunsten der Beschuldigten eingerichteten Rechte zu fehlen scheint. Insgesamt scheint das Gesetz in Justizkreisen nicht sonderlich beliebt zu sein; es dient nach der Intention des Gesetzgebers vor allem dem Schutz des Beschuldigten. Leider gibt es viele Staatsanwälte/innen, die einen solchen Beiordnungsantrag nicht, wie es das Gesetz jedoch vorsieht, unverzüglich an den Ermittlungsrichter weiterleiten, sondern erst einmal Monate lang unbeachtet lassen oder schlichtweg gar nicht erst an das Gericht weiterleiten.

Gemäß § 141 Abs. II Nr. 4 StPO ist der Verteidiger jedoch spätestens dann zu bestellen, wenn die/der Ange­schuldigte zur Erklärung über die Anklage­schrift auf­gefor­dert wird, mithin wenn ihm diese zuge­stellt wird und das Zwischen­ver­fahren beginnt. Generell ist in § 142 Abs. V StPO bestimmt, daß dem Ange­schul­digten Gele­gen­heit ge­geben werden soll, inner­halb einer vom Gericht be­stimmten Frist einen Rechts­anwalt zu bezeichnen. Bevor das Gericht also einen Pflichtver­tei­diger bestellt, erhält der Ange­schul­digte - in der Regel - die Auf­forde­rung, selbst einen Rechts­anwalt zu benennen.

Sollte das Gericht z. B. mit der Anklageschrift auffordern, einen Pflichtverteidiger zu benennen, beachten Sie in Ihrem Interesse unbedingt die dort gesetzte Frist. Lassen Sie sich nicht von dem jeweiligen Gericht einen Ihnen unbekannten Verteidiger beiordnen. Nutzen Sie Ihr Wahlrecht und be­nennen Sie recht­zeitig einen Anwalt Ihres Ver­trauens. Unter den bestimmten - allerdings fristgebundenen - Voraussetzungen des § 143a StPO kommt zwar mitunter auch noch später ein Verteidigerwechsel in Betracht. Setzen Sie aber nicht allzu große Hoffnungen darauf: die Hürden sind durchaus hoch und Gerichte "verteidigen" nicht selten "ihre" mitunter gezielt ins Verfahren installierte Pflichtverteidiger.

Verteidiger Ihres Vertrauens

Die Kanzlei Dr. Gülpen übernimmt jeder­zeit Pflicht­ver­tei­digungen: seriös, loyal und vor allem unabhängig. Wir betreiben keine Beiordnungsprostitution. ​Lassen Sie sich als Beschul­digter oder als Ange­klagte im Einzel­falle bera­ten, ob die Voraus­set­zungen der Beiord­nung eines Pflicht­ver­tei­digers vor­liegen. Wir prüfen für Sie in einem kostenfreien Erstgespräch, ob es sich bei Ihrem Anliegen um einen möglichen Fall einer notwendigen Verteidigung handelt. Nehmen Sie recht-zeitig Kontakt zu uns auf, damit wir uns für Sie als notwendiger Verteidiger bestellen können.